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Nicht ernstgenommen werden? Sich überfahren oder angegriffen fühlen? Wie man mit einem Satz die Kommunikation verändern kann.

In der letzten Zeit hatte ich verschiedene Gespräche, in welchen Menschen berichteten, dass sie sich bei Gesprächen nicht ernst genommen, überfahren oder auch angegriffen fühlten.

Das sind Gefühle, die üblicherweise als unangenehm empfunden werden und nur allzu oft gehen diese Gefühle mit der Fragestellung einher, ob man an etwas „Schuld“ ist oder in irgendeiner Form den Gedanken hat, es läge an einem selbst – Stichwort Selbstzweifel oder Selbstsicherheit. Jeder von uns dürfte das schon erlebt haben, weshalb ich in diesem Beitrag einen kleinen Vorschlag machen möchte, wie man relativ einfach und „sich-entlastend“ in einem Gespräch damit umgehen kann. Dabei verzichte ich zugunsten der praktischen Anwendung auf ausführliche Erklärungen, sondern setze Essenzen hintereinander.

Selbstverständlich sind alle Situationen oder auch Kommunikationen höchst individuell, es gibt jedoch wissenswerte Zusammenhänge, die helfen können, sich wieder besser zu fühlen. Wir werden in dem Beitrag nur noch das Wort Kommunikation verwenden, womit im Kontext eine Kommunikation oder eine Situation gemeint ist.

Der Zusammenhang kurz erläutert.

Grundlagen und Zusammenhänge jeglicher Kommunikation werden unter anderem in verschiedenen Kommunikationsmodellen beschrieben. Die Modelle gehen dabei auf verschiedene Aspekte in einem Kommunikationssystem ein. Die einen oder anderen kennen möglicherweise das Vier-Ohren-Modell, das Sender-Empfänger-Modell oder auch das Eisbergmodell [1]. All die unterschiedlichen Modelle versuchen Kommunikation zu strukturieren und haben eine Gemeinsamkeit. Sie erkennen jeweils eine Beziehungsebene und eine Sachebene an. Hier und da unterschiedlich formuliert, aber im Kern ist es das.

Die Beziehungsebene ist dabei, grob gesagt, die Ebene, in welcher Gefühle entstehen oder Emotionen ausgelöst werden. Auf dieser Ebene wird beispielsweise Auskunft über die Beziehung zueinander gegeben oder es lassen sich Signale des eigenen Befindens wahrnehmen.

Auf der Sachebene geht es beispielsweise um Sachinformationen. Damit sind Zahlen Daten Fakten gemeint oder auch rationale Erklärungen, die man in irgendeiner Form auch benennen kann. Die Sachinformationen informieren also über etwas, ohne eine Bewertung in sich zu tragen.

Jede Sachinformation bekommt durch eine Bewertung eine Bedeutung. Diese Bedeutung ist es, die in die Beziehungsebene wirkt und zum Beispiel Gefühle und Emotionen auslöst. Dabei ist es egal, ob diese als positiv oder negativ empfunden werden.

Eine Bewertung ist immer eine individuelle Bewertung. Es ist nicht möglich, für einen anderen Menschen zu bewerten. Bezogen auf Störungen und Schwierigkeiten ist zu beachten, dass ein Problem sich meist exakt benennen oder beschreiben lässt und sich immer auf einer Sachebene befindet. Ein Konflikt wiederum wird durch Gefühle beschrieben und ist meist nur schwer in Worte zu fassen. Konflikte liegen immer auf der Beziehungsebene. Deswegen sind auch die Gefühle, sich nicht ernstgenommen oder angegriffen zu fühlen, in der Beziehungsebene zu finden.

Meine Welt ist nicht deine Welt.

Der Grund liegt darin, dass jeder Mensch seine eigene Wirklichkeit konstruiert [2]. Dieser Umstand besagt, dass „deine Wirklichkeit eine andere ist, als meine Wirklichkeit“ – anders ausgedrückt – „Deine Welt ist nicht meine“. In Folge ist es für einen Menschen nicht möglich, im Bedürfnis eines anderen Menschen, für diesen Bedeutung zuzuweisen. Wenn wir dies versuchen, basiert das nur auf Vorstellungen und Annahmen.

Ein zentraler Grund für Konflikte ist genau das: Bewertung und Bedeutungszuweisung von oder für andere. Anders formuliert – Probleme werden zu Konflikten, wenn beispielsweise jemand versucht, anderen seine eigene Sichtweise aufzudrängen oder auch, wenn nicht alle Parteien den gleichen Informationsstand haben.

Nehmen wir ein Beispiel:

Eine Sachinformation eines Gesprächspartners lautet:

„Du willst diese Aufgabe machen?“.

Im Weiteren wird nun eine Bewertung der Sachinformation hinzugeführt:

„Du stellst dir doch nicht im Ernst vor, dass du das wirklich hinbekommst? Du scheiterst doch schon an anderen Aufgaben“.

Die Bewertung des Angesprochenen wird möglicherweise unterschiedlich aussehen. Die Angesprochene antwortet in unserem Beispiel mit einer anderen Bewertung auf die initiale und nun im Raum stehende Bewertung:

„Woher willst du das denn wissen? Du weißt doch gar nicht, dass ich so etwas schon gemacht habe. Ich kann das auf jeden Fall, du Blödmann“.

Jeder hat nun aus seiner eigenen Wirklichkeit heraus bewertet.

Der Konflikt beginnt.

Es entsteht ein Konfliktsystem, denn solange es Anschlusskommunikation gibt, ist diese erneut von Bewertungen geprägt. Es entsteht ein sogenannter kommunikativer Teufelskreis [3].

Die Bewertungen aktivieren die Beziehungsebene und dies führt in der (physikalischen) Konsequenz zur Ausschüttung von Chemikalien, die vereinfacht gesagt die Gefühle erzeugen, die man fühlt. Das alles ist Folge elektrochemischer Kommunikation innerhalb des menschlichen Körpers, was spannenderweise auf elementarer Ebene genauso funktioniert wie das Gespräch an sich [4].

Da der Körper diese Aktivität nicht über einen längeren Zeitraum aufrechterhalten kann, sinkt der Arousal Level (Aktivität des zentralen Nervensystems) wieder und man wird ruhiger. Bis wir wieder anfangen, die Umstände erneut zu thematisieren oder an bestimmte Dinge zu denken, die zu dem Gefühl geführt haben. Dieser Umstand kommt auch an anderer Stelle zum Tragen. Wenn man zum Beispiel befürchtet, bei einer Prüfung einen Blackout zu haben oder einen Vortrag halten muss und hier zu Beginn aufgeregt ist, dann sind die Chemikalien der Grund.

Was können wir jetzt tun?

Wenn wir sagen, dass der Konflikt aus der Sachinformation plus der Bewertung besteht, die die Beziehungsebene und alles weitere aktiviert, dann gilt es für eine Lösung, eben diese zu trennen. Hier ist ein Beispiel, bezogen auf den oben beschriebenen Konflikt.

Damit sich der Chemikaliencocktail im Körper abbauen kann, 5 – 10 Minuten nichts oder etwas Belangloses sagen. Hauptsache, es erfordert keine Konzentration. Wenn es geht, kann man die Situation auch verlassen (beispielsweise zur Toilette gehen). Der Arousal Level sinkt. Der Kopf kann wieder klarer denken.

Wenn wir nun etwas sagen wollen, ist das Folgende sehr wichtig. Ich formuliere das einmal so, wie wenn ich es einem Freund sagen würde. Das finde ich an dieser Stelle passend:

Wenn du in DU-Form sprichst, verhärtet sich die Kommunikation. Das kannst du selbst testen. Wie fühlt es sich für dich an?

„DU hast das nicht gemacht“, „Das liegt ganz klar an DIR“ oder noch schlimmer „DU bist schuld“.

Wenn du in ICH-Form sprichst, entspannst du das Gespräch umgehend.

„ICH kann mir vorstellen, was du meinst“, „ICH verstehe nicht genau, worum es geht“ oder „ICH bin damit nicht einverstanden“.

Hör wieder in dich rein. Ist das ein anderes Gefühl? Die meisten Menschen sagen, dass es so sei.

Zusammengefasst trägt die DU-Form einen Character der Konfrontation in sich, während die ICH-Form einen kooperativen Character aufweist. Das liegt an den Bewertungen.

Sprichst du in ICH-Form, bewertest du deine Welt.
Sprichst du in DU-Form, bewertest du die Welt des anderen.

Weiter oben im Beitrag haben wir gesehen, dass dies aber nicht geht.

Ein Lösungsbeispiel.

Die Lösungsoption in einer Kommunikation, in der man sich nicht ernst genommen, überfahren oder auch angegriffen fühlt, liegt jetzt in der Trennung von Sach- und Beziehungsebene.

Ignoriere die Sachebene und thematisiere die Beziehungsebene in ICH-Form – benenne ein Gefühl.

Eine Antwort im oben genannten Beispiel könnte sein:

„Ich fühle mich von dir nicht ernst genommen und das macht mir ein schlechtes Gefühl.“

Diese Antwort bleibt jetzt stehen und wird nicht weiter kommentiert. Nichts mehr sagen. Der Gesprächspartner ist Mensch, wird nicht lange still sein können und MUSS sprechen, da die Nachricht eine Botschaft in sich trägt, die unmittelbar die emotionale Ebene ansteuert.

Üblicherweise – eigentlich immer (Störungsbilder ausgenommen) wandelt sich das Gespräch und es findet eine Unterhaltung über den Umgang miteinander statt. Das ist die Beziehungsebene und das ist der Boden für Verstehen und Verständnis.

Nun gibt es aber Menschen, die trotzdem gerne im Gespräch wieder auf die Sachebene schwenken. Das Muster dafür ist die Verwendung der DU-Form. Mit ein wenig Übung erkennt man das automatisch, einfach weil man es (vielleicht auch durch diesen Text) im Bewusstsein hat. Dieses Nachsetzen in DU-Form lässt sich erneut beantworten, diesmal mit einem Zusatz – einer Anweisung und einer Konsequenz:

„Das macht mir wieder ein schlechtes Gefühl und das möchte ich nicht haben. Daher schlage ich vor, dass wir das Gespräch zu einem anderen Zeitpunkt wieder aufnehmen“.

oder

„Das macht mir wieder ein schlechtes Gefühl und das möchte ich nicht haben. Wenn ich das weiter hinnehmen muss, werden wir uns nicht mehr darüber unterhalten“.

Und dann ist es wieder wichtig, nichts mehr zu sagen.

Es gibt keine Schuldfrage.

Nachdem wir das Beispiel hier beendet haben, können wir einen Umstand erkennen, der im Gedanken der Mediation ein zentraler Punkt ist. Es gibt keine Schuldfrage.

Niemand trägt in einem Konflikt Schuld, sondern hat nur eine andere Wirklichkeit [5]. Und es ist mir wichtig zu sagen, dass genau das die Grundlage ist, warum jeder etwas zu sagen hat, jede Meinung „richtig“ ist auch wenn ich diese Meinung selbst nicht richtig finde. Schuld ist eine Frage für Gerichte, die in die Vergangenheit schauen. Dort gibt es keine Lösungen für die Zukunft. In diesem Beispiel geht und ging es um die Zukunft.

Was ich hier aufgeschrieben habe, ist ein kleiner Teil der Vielschichtigkeit von Kommunikation, die jedes System darstellt. An diesem Beispiel können wir sehen, wie ein Satz die gesamte Kommunikation verändern kann. Dabei meine ich nicht die Richtung zu etwas Positiven oder Negativen, sondern die Veränderung an sich. Alles, was dann passiert ist emergent [6] und nicht vorhersehbar – beziehungsweise nur mit Wahrscheinlichkeiten versehen.

Vielleicht fanden Sie den Beitrag auch spannend und hatten Freude am Lesen. Und wie immer – wer mehr darüber wissen möchte, darf mich gerne kontaktieren.

Fußnoten:
[1] In dieser kostenfreien Handreichung sind beispielhaft Kommunikationsmodelle aufgeführt. 

[2] So hat es Paul Watzlawick formuliert. Es gibt auch physikalische Erklärungen, wie zum Beispiel die unbewusste Filterung von Millionen Wahrnehmungssignalen durch das Gehirn auf das Wesentliche für die Existenz den Menschen. Zwar werden hier viele Signale weggefiltert, aber sie wurden zuerst registriert und verarbeitet.

[3] Infos über das Teufelskreis Modell finden Sie hier direkt bei Schulz von Thun 

[4] Wer sich für den Zusammenhang interessiert, dem empfehle ich mein Buch zum Thema. Informationen dazu gibt es hier.  In dem Buch gibt es auch ein kleines Kapitel zu „Gamechanger-Formulierungen“

[5] Eigentlich möchte ich nicht auf den Konflikt zwischen Ukraine und Russland eingehen, aber ich werde in diesem Zusammenhang darauf angesprochen. Auch in dem Konflikt gibt es keine Schuldfrage – diese liegt in dem primären Problem, welches nicht gelöst wurde. Der Konflikt dient jetzt als Platzhalter für das Problem. Vor der Konfliktlösung steht die Problemlösung und die findet nicht statt. Ich betone, dass dies eine Verfahrenssicht der Mediation ist!

[6] Emergenz ist eine Bezeichnung für einen Weg der Bildung neuer Eigenschaften oder Systemstrukturen über das Zusammenwirken der einzelnen Elemente. Dabei lassen sich die neuen Eigenschaften meist nicht auf Wirkfaktoren einzelner Elemente zurückführen.