Kategorien
Beiträge

Nachlese Internationaler Mediationskongress – Frankfurt – Integrierte Mediation e.V.

92 Menschen aus mehr als 10 Ländern, über 20 Themenfelder in 8 unterschiedlichen Arbeitsbereichen, zweisprachiger Ablauf und den Fokus auf ein interaktives World Café in Kombination mit einer Living Library. „Mehr Kompetenz und Know-How geht gar nicht“, erläutert Achim Gilfert, der als Vereinsmitglied der Integrierten Mediation e.V. gemeinsam mit seiner Schwester Linda und Arno Baltin aus Lettland, den Kongress moderieren durfte. Dabei kamen die Referenten beispielsweise aus Madagaskar, Griechenland, Russland, England, Israel, Lettland, der Schweiz und Österreich.

„Das waren zwei sehr anstrengende, aber auch sehr bereichernde Tage. Alle Teilnehmer und Teilnehmerinnen haben aktiv diskutiert, sich eingebracht und damit zu einem gemeinsamen, lebendigen und erfolgreichen Kongress beigetragen“ so Gilfert weiter.

Jedes Thema für sich ist sehr wertvoll!

In einer Nachlese wird meist ein bestimmter Aspekt oder ein „Hauptthema“ näher betrachtet. Das ist in unserem Fall kaum möglich, da jeder Beitrag, jedes Handlungsfeld und jeder Akteur sich auf gleicher Ebene befanden. Die inhaltliche Dokumentation des Kongresses wird auf den Webseiten der Integrierten Mediation e.V. veröffentlicht. An dieser Stelle rücken die Impulse, die Themenvielfalt und die Diskussion um die Mediation in den Fokus.

Bevor der zentrale Programmpunkt – das World-Café – begann, wurden die Teilnehmer und Teilnehmerinnen durch Impulsvorträge auf die Themen und Schwerpunkte eingestimmt.

Ein Highlight für mich persönlich war der Vortrag „Der Untergang der Mediation“. Der englischsprachige Impuls erläuterte unter anderem Erfahrungen mit der Mediation in Israel. Es wurden Gefahren aufgezeigt, die der Entwicklung der Mediation im Wege stehen, wie beispielsweise das Spannungsfeld zwischen Fallmanagement und „echter“ Mediation. Außerdem wurde deutlich, dass „Macht“ keine Mediation wünscht. Denn echte Selbstverantwortung- und Selbstbestimmung könnte die selbige ja destabilisieren. In einer weiteren Einleitung wurde über die Mediation in Russland gesprochen. Einige der oben genannten Impulse fanden sich auch hier wieder.

Anschließend nahm Arthur Trossen, der dem Verein Integrierte Mediation e.V. seit nunmehr 18 Jahren vorsteht, anhand des Mediationsreports 2019, eine Bestandsaufnahme der Mediation in Deutschland vor. Er erläuterte Konsequenzen, die sich für die Frage der Implementierung der Mediation ableiten.

„Wo und wie zeigt sich die Mediation und wie kann man das Beste aus ihr herausholen?“ Mit dieser Fragestellung begann das World Café. Themenexperten trugen im 10 Minuten Takt Ihre Vorträge vor und warfen Fragestellungen auf, die sich aus dem Gesagten ergaben. Alle Teilnehmer und Teilnehmerinnen notierten ebenfalls Fragen, die sich ihnen innerhalb der Vorträge stellten und sammelten den Fragenpool auf den bereit gestellten Metaplanwänden. Über den Kongress verteilt ging es unter anderem um die Arbeits- und Anwendungsbereiche Recht, Wirtschaft, Gesundheit, Versicherung, Internationales, Medien, Schule, Sport und auch ein wenig Politik.

Kombiniert wurde das World Café mit der sogenannten Living Library, um die mündliche Kommunikation zu stärken. Aus diesem Grunde haben wir nach einigen Impulsen Gesprächsrunden eingefügt, in welchen die Referenten Fragestellungen der Teilnehmer aufgriffen und stellvertretend für die Gruppen beantworteten oder näher erläuterten.

Die Kernthemen im Überblick.

Die Vielfalt der Themen war beachtlich. In Runde eins haben wir uns zu Beginn mit dem Recht und seinen Facetten auseinandergesetzt. Das Konzept der Kooperativen Praxis als Modell und der Impuls „Schnittstellen und Sackgassen – Effiziente Streitschlichtung contra einseitige Streitkultur” war Teil der Betrachtung. Kontrovers wurde auch über das Spannungsfeld Mediation und Recht diskutiert. So im Thema „Umfassende Beratung durch Rechtsanwälte in der Mediation oder: Güterichter sind nur die zweitbeste Lösung, aber vielleicht billiger?“ oder auch der Punkt „Umdenken bei Parteien und Prozess Anwälten: Hürden bei der Privatisierung der Streitbeilegung“

Die Runde zwei nahm die Wirtschaft in den Fokus. Hier ging es in erster Linie darum, wie der betriebliche Alltag mit mediativen Grundgedanken gestaltet werden kann und wie mediativ gestützte Veränderungsprozesse in Unternehmen Anwendung finden können. Dabei ging es darum, dass beispielsweise bei Digitalisierungsprozessen sehr viele potenzielle Konfliktfelder auftreten können. Präventiv bearbeitet – also vor Umsetzung – können diese einfach mit in die Planung aufgenommen und bestenfalls vermieden werden. Es herrschte Einigkeit, dass dies förderlich bei den anstehenden Veränderungsprozessen sein kann und Kosten spart.

Nach einer Pause stand das Thema Gesundheit und Mediation im Mittelpunkt. Woran kann eine Mediatorin oder ein Mediator erkennen, ob ein Mediand zum Beispiel mental oder physisch krank ist. Oder möglicherweise suchtkrank? Welchen Einfluss hat das auf Mediationsfähigkeit und welche Konsequenzen kann das für eine Mediation haben? Auch die Mediation bei und mit behinderten Menschen war ein sehr spannendes und nicht alltägliches Thema. Dabei ging es neben den gehandicapten Menschen selbst auch um die Institutionen, die Fürsorge betreiben oder als Verantwortliche auftreten. Gerade bei großen Institutionen ist die Nutzung des Rechts Maß der Dinge und Mediation eher weniger am Start. Für Betroffene ein Drama, da die Institutionen Zeit und Geld haben, um solche Rechtsverfahren durchzustehen. Als Betroffene kämen nur schnelle Lösungen in Frage, die beispielsweise über Mediation gefunden werden können. Das Thema Gesundheit hat im Kontext der Mediation also viele Facetten und es wurde erläutert, dass die Themenvielfalt nur an der Oberfläche bearbeitet werden konnte.

Auf der folgenden Runde Nummer vier drehte sich alles um das Thema Versicherungen. Auch hier ging es um Fragen von Personenschäden und den Einfluss der Versicherungen. Dieser kann sehr groß für Betroffene sein, die zum Beispiel Unfälle erlitten haben oder anderweitig Opfer von gesundheitsschädlichen Einflüssen geworden sind. Teilweise jahrelang wird sich hier gestritten. Die Menschlichkeit bleibt in der Regel komplett auf der Strecke. Mediation kann hier wirken, jedoch wurde erläutert, dass genau diese – wenn sie denn zustande kommt – nur nach bestimmten Regeln und Vorgaben der Versicherungen zu erfolgen hat.

Die Internationalität des Kongresses.

In der fünften Runde zeigte sich die ganze Internationalität des Kongresses. Die ersten Impulsvorträge fanden teilweise schon in Englisch statt.

An einem großen Doppeltisch saßen die internationalen Gäste und Impulsgeber, die über die ganze Veranstaltung einen Dolmetscher an ihrer Seite hatten. Dieser übersetzte praktisch „in Echtzeit“, was für den Übersetzer bei manchem Referenten aufgrund der engagierten und schnellen Rede, eine Meisterleistung war.

Wir erhielten in dieser Runde einen Einblick in die Haltung der Mediation in anderen Ländern sowie auf die Konsequenzen unterschiedlicher Kulturen und Werte. So wurde am Beispiel Madagaskars erklärt, dass normale und von der Gesellschaft erwartete Vorgänge vor Ort, in Deutschland schlichtweg verboten seien – Stichwort Korruption. Auch darauf muss Mediation vorbereitet sein, wenn Sie in anderen Kulturen Fuß fassen möchte oder auch bei Mediationen zwischen Menschen verschiedener Kulturen wirksam sein soll.

In einem weiteren Impuls erhielten wir Einblick in die Mediation in Russland. Die Staatsform hat hier großen Einfluss und auch hier gibt es kulturelle Unterschiede. Ebenso gibt es Bedingungen, die einfach zu beachten sind. Es ging weiter mit einem Impuls über die Mediation in Griechenland. Hier war es bis vor kurzem so, dass Mediatoren Rechtsanwälte sein müssen. Dieses Gesetz wurde allerdings wieder geändert, wobei jedoch immer noch ein Rechtsanwalt während einer Mediation anwesend zu sein hat. Im Mittelpunkt stand hier die Erfahrung mit verpflichtenden Mediationen, die zum Beispiel durch Gerichte angeordnet werden. Aus dem Feld der Trauerberatung und dem Umgang mit Gefühlen wurde ein Impuls aus Großbritannien gehalten. Hier konnte das Publikum, wie auch bei allen anderen Vorträgen, sehr schön mit einbezogen werden. Fragen wurden beantwortet und kleine Gedankenexperimente durchgeführt.

Zuletzt wurde auf die Besonderheiten der Mediation in der Schweiz und Österreich hingewiesen. Sie ist in diesen Ländern stärker verankert als in Deutschland und wird unter bestimmten Umständen sogar finanziell gefördert.

Medien und Mediation spielten in der sechsten Runde die Rolle. Dabei wurde die Frage in den Vordergrund gestellt, wie sich das heutige Kommunikationsverhalten und die intensive Mediennutzung auf die Mediation auswirken kann. Viele Jugendliche nutzen vorzugsweise digitale Medien und schließen somit teilweise Kommunikationskanäle aus. Hierzu gehören unter anderem Gestik und Mimik, die beim Chatten nicht übertragen werden können. Es wurde deutlich, dass es sich hierbei nicht um eine Mode handelt und auch die Mediation einfach nicht mehr daran vorbeikommen wird. Wie auch immer das aussehen kann. Es wurde versucht, die Frage nach einem sinnvollem Einsatz der digitalen Medien zu diskutieren.

In der letzten inhaltlichen Runde sieben und acht ging es um Schule und den Bereich Sport. Es wurden Konzepte und Besonderheiten der Schulmediation zur Gewaltprävention an Förderschulen vorgestellt. Auch hier zeigte sich wieder einmal, dass die Möglichkeiten für die Mediation vielseitig sind, aber die Komplexität auch sehr herausfordernd sein kann. So wurde beispielsweise ein Projekt mit Beteiligung der Polizei angedacht, welches nicht überall auf Gegenliebe stieß. Denn am Ende steht auch die Frage, welchen Mediationsgrad staatliche Hoheit erreichen kann. Das gilt demnach ebenfalls für Lehrer und Lehrerinnen. Abschließend wurden noch die Bezüge von Mediation und Sport- hier eher der Leistungs- und Profisport- vorgestellt. Gerade in Sportarten, in welchen viel Renommee und Geld im Spiel ist, kann Mediation von großem Vorteil sein. Denn hier geht es häufig um mehr Konfliktstoff als nur den Gewinn oder Verlust eines Spiels oder eines Wettbewerbs.

Das World Café und die Interaktion.

Zwischen den verschiedenen Impulsen wurde über die jeweiligen Themen an den Tischen diskutiert. Dazu empfingen die Referenten und Referentinnen die interessierten Zuhörer jeweils an Thementischen. Alle haben sich während der Impulse Fragen und Anmerkungen notiert und diese eingebracht. Dazu gehörten auch kritische Hinweise oder inhaltliche Verfeinerung. Jede Diskussionsrunde dauerte 30 Minuten und im Anschluss wechselten die Gruppen die Tische. Die jeweilige Interessenlage der Teilnehmer und Teilnehmerinnen entschied darüber, auf welche Themen man sich konzentrierte. Es war sehr schön zu sehen, dass alle Tische gleichmäßig besucht wurden. Das hieß auch, dass die Themen den Nerv der Menschen vor Ort trafen.

Nachdem ein Block von zwei beziehungsweise drei World Café Runden beendet wurde, kamen die Thementisch Inhaber nach vorne, um einer nach dem anderen über die Kernpunkte der Diskussion an den jeweiligen Tischen zu berichten.  Auf diesem Wege wurden die Ergebnisse und relevanten Punkte vor dem gesamten Publikum noch einmal gemeinsam festgehalten. Hier war auch der Platz, dass weitere Anmerkungen Eingang fanden, so zum Beispiel, wenn jemand nicht alle Thementische besuchen konnte, aber dennoch etwas zu sagen hatte.

Das Spannungsfeld um das Mediationsparadox.

In allen Erhebungen zur Mediation, in welcher die Wirksamkeit von Mediation bewertet werden sollte, findet sich ein gleichlautendes Ergebnis: Mehr als 80 Prozent der Befragten bescheinigen der Mediation eine sehr hohe Wirksamkeit. Sie führt zu nachhaltigen und gemeinsamen Lösungen. Andererseits ist der Anteil an Mediationen im Vergleich zu Gerichtsverfahren sehr klein und wird mit einem einstelligen Prozentbereich (je nach Publikation) angegeben. Warum ist das so? Auch diese Frage wurde aufgeworfen und diskutiert. Dabei ging es unter anderem um den Eindruck, dass zumindest gefühlt die ganze Mediationslandschaft nur aus Ausbildungsangeboten und Weiterbildungen zur Mediation besteht. In vielen Verbänden und Vereinen kann man sich jeweils anerkennen lassen, wenn man sich bestimmten Bedingungen unterwirft. Das Mediationsgesetz und die Voraussetzung zur Selbstbenennung „Zertifizierter Mediator“ tragen hier noch mehr dazu bei. Es gibt sogar Stimmen die sagen, Mediation ist eher ein Phantom als Wirklichkeit. Es gab einen Konsens über diesen inhaltlichen Kern, aber auch, dass man die Situation beobachten muss und vor allem aktiv anders mitgestalten sollte.

Mein Fazit:

Auf dem Kongress wurden so viele Themen rund um die Mediation angesprochen und es war erkennbar, dass alle Teilnehmer und Teilnehmerinnen, wie auch die Referenten viel gelernt haben. Es gab eine Menge neues Wissen, welches sich verbreiten konnte. Ich denke, das war der größte Benefit des Kongresses.

Es ist mir nicht möglich, in dieser Nachlese alle Menschen und Themen vor Ort zu berücksichtigen. Selbstverständlich stand der Kongress auch unter einem Motto und es gab eine Formulierung verschiedener Thesen, für die auch ein gemeinsamer Konferenzbeschluss der Integrierten Mediation e.V. ausgearbeitet wurde, um damit weitere Schritte zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Mediation in den Blick zu nehmen. In diesem Bericht ging es aber vornehmlich um einen Einblick und Rückblick der Veranstaltung.

Und die war fantastisch und absolut positiv. Ich selbst bedanke mich sehr für das große Engagement und die Möglichkeit der aktiven Beteiligung.

Bildnachweis: Achim Gilfert | Text: Achim Gilfert | 2019 | mensch-und-betrieb.de